Besonderheiten auf dem Land
Das Leben in Apulien, insbesondere in der Campagna, ist abenteuerlicher als man denkt.
Zumindest aus deutscher Sicht.
Wer sich auf ein Leben auf dem Land einlässt, lebt wie anno dazumal, mit einfachen Mitteln und ohne große Ansprüche. Was nicht zugleich bedeutet, dass es schlechter ist.
Im Gegenteil, wenn man sich erst einmal an die Umstände gewöhnt hat, lebt es sich unkompliziert und das Wort “Achtsamkeit” erhält immer mehr Bedeutung.
Alltägliche Situationen, die man in Deutschland als selbstverständlich ansieht, lernt man hier wieder zu schätzen.
Lasst Euch von acht außergewöhnlichen Gegebenheiten in der Campagna überraschen.
1. Wasserversorgung
Die meisten Grundstücke in der Campagna sind nicht vollständig erschlossen. In meinem Fall bedeutet das, dass ich zwar mit städtischem Strom beliefert werde, um die Wasserversorgung muss ich mich aber selbstständig kümmern.
In einer Zisterne sammelt sich im Winter Regenwasser. Dieses wird, vom Hausdach über die Dachrinne, in die Grube geleitet. Der Niederschlag wird ungefiltert in meine Hausleitungen gepumpt, das Wasser ist also nicht zum Trinken geeignet.
Im Sommer wird das Ganze etwas aufwändiger, weil es in Apulien, zwischen Mai und September, nur selten regnet. In diesem Fall rufe ich “Mimmo”, den Mann mit dem Wasserlaster, der meine Zisterne mit 10.000 Litern frischem Wasser betankt.
Dieses Frischwasser darf nicht mit Niederschlagswasser vermischt werden, da es sonst, aufgrund der sommerlichen Hitze, umkippt und anfängt zu stinken. Gesteuert wird die Wasserzufuhr über einen Hebel an der Dachrinne, den ich manuell öffnen und schließen kann.
Einige meiner Nachbarn besitzen einen hauseigenen Brunnen und werden durch diesen mit Grundwasser versorgt.
2. Kanalanschluss
In der Campagna ist man nicht an den städtischen Kanal angeschlossen. Die Lösung: in jedem Grundstück ist eine eigene Klärgrube verbaut.
Auch, wenn das im ersten Moment etwas abschreckend klingen mag, im Alltag macht das keinen Unterschied. Es handelt sich um einen Abwassertank mit mehreren Kammern und einer Filterfunktion, der tief in der Erde vergraben ist.
Das Schmutzwasser wird selbstständig, mechanisch gereinigt. Rückstände, wie Toilettenpapier und Schlamm, werden alle paar Jahre durch einen Rohrreinigungsservice abgepumpt.
Die Klärgrube ist eine saubere, unauffällige Alternative zum generellen Anschluss und spart die monatlichen Kanalgebühren ein.
3. Stromversorgung
Der Strom in der Campagna wird zum wertvollen Gut, da er selten vorhanden ist.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich hier schon jemals einen Tag erlebt habe, an dem kein Stromausfall war, auch wenn es sich teilweise nur um ein paar Sekunden oder Minuten handelt. Die Häuser sind an das örtliche Stromnetz angeschlossen, welches aber sehr fragil ist. Gründe für spontane Stromausfälle auf dem Land können folgende sein:
- zu viele Vögel sitzen gleichzeitig auf der Stromleitung
- starker Regen
- starker Wind
- nicht angekündigte Abschaltung des Energieversorgers
- Unfälle am Verteilerkasten bei Wartungsarbeiten
- Aufeinandertreffen poröser oder blanker Kabel
- Feuchtigkeit in unzureichend geschützten Leitungen
- schwache Übermittlung des Stroms durch den Versorger
- die Benutzung mehrerer Elektrogeräte zur gleichen Zeit
Es ist jedes Mal aufs Neue spannend, die Ursache für den Ausfall zu finden. Mit der Zeit habe ich gelernt, abzuwarten, anstatt mich sofort auf Fehlersuche zu begeben.
Bestenfalls kommt der Strom nach kurzer Zeit von selbst wieder zurück. Nach 20 Minuten Ausfall schreibt man in die Nachbarschaftsgruppe, ob ähnliche Probleme bestehen, um einzugrenzen, ob es sich um einen allgemeinen oder persönlichen Stromausfall handelt.
4. Gewitter
Es gibt viele Menschen, die Angst vor Gewittern haben. Bisher gehörte ich nicht dazu, doch mein Respekt vor Unwettern ist stark gewachsen, seit ich in der Campagna wohne.
Durch das unbebaute Land und die unendlich weiten Olivenhaine, ähnelt die Landschaft einem Wald. Die Gefahr, dass der Blitz einschlägt, ist hier um ein Vielfaches größer als in einer Wohnung in der Stadt. Die Gewitter sind heftiger als jene, die ich aus Deutschland kenne. Ab und zu vibriert die Erde, wenn es donnert.
Blitzableiter werden auf dem Land nicht verbaut, da das Risiko eines Einschlags gleich bleibt, sagt zumindest mein Elektriker.
Um sich bestmöglich zu schützen und Unfälle zu vermeiden, halten alle Anwohner – ab dem ersten Donner – eine gewisse Routine ein: (insofern man sich gerade zu Hause befindet)
- alle Elektrogeräte ausschalten
- Stecker aus der Steckdose ziehen
- alle Sicherungen herausnehmen
- Fenster schließen
- Schutz im Haus oder Auto suchen
Aus deutscher Sicht mögen sich diese Schutzmaßnahmen, in der heutigen Zeit, übertrieben anhören. Allerdings nur, bis man es selbst erlebt.
Letzten Sommer ist ein Teil meiner Überwachungsanlage durchgebrannt, die Reparatur war aufwendig und ich kann von Glück reden, dass nicht mehr passiert ist.
Zudem hatte ich ein kleines, privates Feuerwerk in meinem Sicherungskasten, der bunte Funken gesprüht hat. Das ist leider keine Seltenheit und kommt nicht nur bei mir vor, sondern auch in den Häusern der Nachbarn.
5. Post
Am dritten Stein links, bitte!
Ohne Smartphone und Internetverbindung ist es in der Campagna sehr schwierig, die richtige Adresse zu finden. Eine Anschrift gibt es, jedoch keine Hausnummer. Was zur Folge hat, dass alle Anwesen in derselben Straße die gleiche Bezeichnung haben.
Ohne Standortübermittlung wird es daher, selbst für einheimische Handwerker, zum Abenteuer, an der richtigen Baustelle anzukommen. Viele Häuser sind vom Hauptweg aus gar nicht einsehbar und können nur durch schmale, löchrige Feldwege erreicht werden.
Der italienische Postbote macht sich deshalb nicht die Mühe, wegen vereinzelter Pakete oder Postkarten, aufs Land zu fahren. Vor allem, weil viele der Anwohner ihren Hauptwohnsitz sowieso in der Stadt haben, wo die Briefe täglich ausgeliefert werden.
Paradoxerweise laufen in Apulien aber sämtliche Vorgänge sehr modern, nämlich digital, ab. Terminvorschläge oder Rechnungen erhält man per Mail, besonders wichtige Dokumente werden direkt durch die Ämter ausgehändigt. Abgesehen von Paketen, die man im Online-Handel bestellt, gibt es also gar keine große Daseinsberechtigung für eine Hausnummer oder den Briefträger.
Für Ausnahmefälle, wie zum Beispiel ein weihnachtliches Paket aus der Heimat, gibt man die Adresse einer Spedition in der Stadt an. Dort kann dieses, gegen eine kleine Annahmegebühr für die Kaffeekasse, abgeholt werden.
6. Müllabfuhr
Wider erwartend wird MÜLLTRENNUNG in Italien großgeschrieben. Zumindest offiziell. In der Stadt kommt die Müllabfuhr an sechs Tagen die Woche, um Plastik, Glas, Papier, Bio- und Restmüll abzuholen. Das ist auch sinnvoll bei dem milden Klima, um Gestank und Ungeziefer zu vermeiden.
Auf dem Land kommt die Müllabfuhr, wann sie will.
Regulär werden dem Anwohner drei Tage Abholung angekündigt, was in der Praxis jedoch nie umgesetzt wird. Der Service hängt stark von der Laune und den persönlichen Plänen des Angestellten ab. Bietest Du ihm regelmäßig einen caffè und ein kleines Schwätzchen an, erscheint er auch öfter, als es der Müllkalender vorsieht. Wenn der Müllmann aber lieber mit seinen Freunden in der Bar sitzt, oder heiße Tage am Meer verbringen will, anstatt zu arbeiten, siehst Du ihn drei Wochen gar nicht. Dafür transportiert er im Nachgang, sehr verantwortungsbewusst, alle Müllsorten im gleichen Auto ab.
Interessant wird es auch, wenn der Mitarbeiter in den Urlaub geht, ohne seine Vertretung über sein Einsatzgebiet zu informieren. Dann kommt es vor, dass bestimmte Anwesen ausgelassen werden, da der Kollege gar nicht weiß, dass diese existieren.
Das Alles bietet aber keinen Grund, sich aufzuregen oder sich bei der Gemeinde zu beschweren. Es ändert nichts an der Situation, weil mit sehr großer Wahrscheinlichkeit die Schwester des Schwagers der Cousine in der Verwaltung arbeitet und den Mitarbeiter in Schutz nehmen wird.
7. Jäger
Der Herbst in der Campagna ist laut.
Liebevoll wird man, pünktlich zum Sonnenaufgang, vom Geräusch des Schrotgewehrs geweckt. Was gibt es Schöneres, als fremde, bewaffnete Männer, die morgens in Tarnkleidung durch Deinen Garten laufen?
Auch wenn es gesetzlich nicht erlaubt ist, im Umkreis von 100 Metern zum Wohnhaus zu jagen, hält es die Jäger nicht davon ab, direkt am Schlafzimmerfenster vorbei zu marschieren und bei Bedarf, zu schießen. Da die Grundstücke in Apulien sehr groß sind, findet man sie nur selten eingezäunt. Das lädt dazu ein, die Felder wie öffentlichen Grund zu nutzen.
Von September bis Januar feuern die Hobbyjäger auf Staren, um diese anschließend zu braten. Leider sind die meisten von ihnen rücksichts- und respektlos, selbst wenn man sie persönlich darum bittet, die Treibjagd wo anders fortzusetzen. Deshalb kommt es hin und wieder vor, dass die Schrotkugeln, die vom Himmel auf die Terrasse zurück prasseln, in der Kaffeetasse landen.
Aber auch daran gewöhnt man sich mit der Zeit.
8. Wald- und wiesenpolizei
Klingt im ersten Moment vielleicht lustig, sie gibt es aber tatsächlich: Die Wald- und Wiesenpolizei. In Deutschland wäre für Kontrollen dieser Art der Förster zuständig. In Italien sorgen die Carabinieri Forestali für Recht und Ordnung auf dem Land. Hierbei handelt es sich um eine Untergruppe der Carabinieri, die mit grünen Einsatzfahrzeugen und Hubschraubern kontrolliert, ob das Unkraut gemäht und die Olivenbäume gepflegt werden.
Jährlich, bis zum 30. Mai, muss in Apulien jedes Grundstück in der Campagna kultiviert sein, sonst werden heftige Strafen an die Eigentümer verteilt. Da es in den Sommermonaten sehr heiß und trocken ist, wird ein einzelner Grashalm zum Großbrand-Risiko. In diesem Zeitraum ist es selbstverständlich auch verboten, offenes Feuer zu schüren und Äste zu verbrennen.
Ein weiterer Grund für die Kontrolle durch die Carabinieri Forestali ist ein trauriger: Der Süden Italiens ist, seit einigen Jahren, von einer schlimmen Baumkrankheit betroffen. Xylella heißt der Schädling, der die Olivenbäume durch seine Bakterien zum Sterben zwingt. Unglücklicherweise ist diese Krankheit ansteckend. Befallene Bäume und Gräser übertragen die Seuche leicht auf benachbarte Pflanzen. Um die Ausbreitung einzudämpfen beziehungsweise zu verlangsamen, ist es äußerst wichtig, sein Grundstück zu pflegen.
Das Leben in der Campagna hat nicht nur Nachteile, auch wenn es für Außenstehende so wirkt.
Durch den Besuch der Jäger hat man Gesellschaft. Die Carabinieri Forestali schützen Anwohner und Land vor gefährlichen Katastrophen. Während eines Stromausfalls verbraucht man keinen Strom.
Es braucht eine Prise Humor und vor allem Gelassenheit, um in Apulien auf dem Land zurecht zu kommen.
Und die schauen wir uns einfach von der Müllabfuhr ab.